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Franz Maurer
Die Wenden der Niederlausitz - Seite 2

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Was das Wendische betrifft, so wurde ich durch den leidigen Umstand ermüdet, dass mein Studieren sich darauf beschränken musste, eine Menge Vokabeln und stets abweichend ausgesprochene Redensarten auswendig zu lernen. Meine wendischen Lehrmeister, die alle der deutschen Sprache mächtig waren, konnten mir nämlich keinen Infinitiv, keine Konjugation oder Deklination aus ihrer Muttersprache sagen, so sehr ich mich auch anstrengte ihnen klar zu machen, was ich zu wissen wünschte. Es ging mir mit ihnen etwa so wie dem berühmten Karl von Scherzer mit den Nikobaresern. Die Leute sprachen demnach ihr Wendisch und unser Deutsch sozusagen bewusstlos, etwa so wie die Kinder eine Sprache reden; ein Umstand, der einige Verwunderung erregen muss, wenn man erwägt, dass sie von frühester Jugend an auf Sprachbegriffe durch Berührung mit deutschen Herrschaften und den Unterricht in der Schule hingewiesen werden. Die Regierung tut nämlich alles mögliche zur Erhaltung der wendischen Sprache und sorgt für wendische Schullehrer-Seminare, wendisch sprechende Prediger und ebensolche Beamte. Es wird in den Kirchen abwechselnd wendisch und deutsch gepredigt; den deutschen Gottesdienst besuchen vorwiegend junge, den wendischen meist alte Leute und Fromme jeden Alters.

Trotz aller Konservierungsmittel weicht die dem Aussterben geweihte wendische Nationalität beständig vor dem Deutschtum zurück und wird binnen kurzer Zeit gänzlich verschwunden sein, obwohl die “Slawischen Blätter” sich angelegentlichst um die Niederlausitzer Stammesgenossen kümmern, worüber die wendischen Bauern sich sehr wundern werden, sollten sie einmal davon hören.

Von wendischen Soldaten, besonders aus der Gegend von Sielow (bei Cottbus), hörte ich, dass ihnen die wendischen Bibelsprüche viel schwerer zu erlernen gewesen sei als die entsprechenden deutschen, vermutlich weil letztere durch das fremdartige Gewand einen gewissen Reiz erhielten. Merkwürdig ist die Ansicht der Leute über Schwer und Leicht von Wendisch und Deutsch. Unsere Sprache ist nach ihrer Ansicht die schwerere von beiden, denn unsere Kinder lallen viel länger als die ihrigen, so behaupten sie zumindest, und wenn dies wahr sein sollte (was ja untersucht werden kann), dann wäre damit nicht bloß eine größere Geisteskraft der deutschen Sprache, sondern auch eine Überlegenheit oder höhere Organisation der deutschen Rasse vor der wendischen bewiesen, wenigstens in gewisser Hinsicht, analog den Beispielen aus dem Tierreich, das uns dort die Nesthocker der Vierfüßler und Vögel bieten. Doch bitte ich dies nicht etwa so zu verstehen, als hielte ich die Wenden zum Dienen und die Deutschen zum Herrschen für geboren, obwohl das beiderseitige Verhältnis seit einem Jahrtausend in dieser Weise bestanden hat.

Von einer wendischen oder gar “slawischen” Tradition ist bei den Leuten nicht die geringste Spur vorhanden; keine Erinnerung des blutigen Kampfes ihrer Vorfahren ist auf sie gekommen, davon habe ich mich so oft in Wachtstuben und Quartieren und neuerdings im Horst des Wendentums überzeugt, dass ich wohl behaupten kann, die wendischen sogenannten historischen Sagen, von denen man mitunter hört und sogar liest, sind keine Volkssagen, keine im Munde des gemeinen Mannes lebenden Erzählungen, sondern gelehrte Erfindungen, die überdies weder Verständnis noch Beachtung in wendischen Kreisen finden – zum großen Glück für uns und sie. Die Leute kennen nicht einmal diejenigen Episoden oder Namen der wendischen Geschichte, die zu den untrennbaren Bestandteilen der brandenburgisch-preußischen Geschichte gehören und deshalb sogar in den Schulbüchern für die untersten Klassen verzeichnet stehen. Wendischen Nationalstolz besitzen sie ebenso wenig; außer den üblichen Eitelkeiten der Menschen haben sie überhaupt keinen anderen als preußischen Soldaten- und Geldstolz. Den ersteren könnte man füglich deutsch nennen, da sie zu seinem poetischen Ausdruck nur deutsche Lieder haben.

Sonderbar ist es, dass sie das Deutschtum und sehr oft die Deutschen instinktiv hassen und einen deutschredenden Nachbar als “Deitschen” bezeichnen, sich selbst aber, wenn befragt, “Preißen” nennen, und auch dann noch, wenn sie ihre alte Nationalität schon eine geraume Weile aufgegeben haben, sich nur als solche fühlen. Man kann dies in der Niederlausitz häufig beobachten, da der Nationalitätswechsel dort beständig vor sich geht. Leute aus einem gewissen Dorf, das seit 50 Jahren deutsch ist, aber noch slawische Physiognomie trägt, konnten politische Fragen, zum Beispiel den dänischen Streit oder die Napoleonischen Kriege, vom deutschen Standpunkt aus auffassen, während andere aus nicht so lange germanisierten oder gar wendischen Ortschaften nur einer preußischen Auffassung fähig waren. Der deutsche Geist wird demnach durch die völlige Spracheroberung der Lausitzer Wenden nicht sofortige direkte Bestärkung erhalten, sondern bloß ein Häkchen beseitigen, an welches überspannte Panslawisten noch überspanntere Pläne hängen mögen.

Aber wehmütig bleibt das Absterben einer alten fremdartigen Sprache dennoch, und ich muss gestehen, mir wurde allemal seltsam zumute, wenn ich durch behutsame Fragen da und dort herausbekam, dass in diesem oder jenem “deutschen” Dorfe ein Greis oder eine Greisin gestorben sei und in der Todesstunde plötzlich in der seit früher Jugend aufgegebenen wendischen Sprache fantasiert oder geflüstert habe, sodass die trauernden Umstehenden nur die Laute, aber nicht die Worte des Scheidenden verstanden. Es kam mir dies immer so vor, als ob der zürnende Geist eines Tugumir und Jazko oder der Heldenbrüder Racko und Stoineff¹ zurückgekehrt wäre, um den Sterbenden an die Laute seiner Kindheit zu mahnen. Darum keine Gewalt gegen die ruhig zu Grabe gehende Wendensprache, die niemals eine andere unterdrückt hat.

¹ - Maurer bezieht sich hier auf die legendären slawischen Hevellerfürsten, die im 10. Jahrhundert das heutige Brandenburg beherrschten.

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